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Mittwoch, 5. September 2012

Kindererziehung früher: Der Hort


 Hort & Kindergarten in einem. Rechts der Hort, links der Kindergarten, alles unter einem Dach. Für Alleinerziehende. In der Mitte der Weg, hellbraun, kieselig. Linkerseits der Spielplatz und Hof. Spielplatz mit Rutsche, Sandkasten, Kletterholzbalken... Spielgerätschaften waren alle gut verstaut in einer Art Garage, die man vom Hof aus erreichen konnte.
 Nach der Schule war es Pflicht, unverzüglich dort zu erscheinen. Mein Fußweg betrug kaum 5 Minuten. Aber ich bummelte immer gern mal. Im Hort war ich nicht allzu gern. Außer einem einzigen Jungen aus meiner Klasse (mit dem ich nicht wirklich was zu tun hatte) war sonst niemand von meiner Schule im Hort. Bis André kam. Spanier. Temperamentvoll weniger, aber echt lieb. Aß unheimlich gern seine Popel. Er war auf der katholischen Seite unserer Schule. Insgesamt gab es da 3 Schulen in einer: die "normale", die katholische und die Vorschule. André wohnte einige Häuser weiter als ich, also fast ein direkter Nachbar. Ich mochte ihn sehr gern. Wir "hingen" viel zusammen rum, auch wenn ich mehr als ein Jahr älter war. Aber älter war ich eh als alle anderen Kinder im Hort. Im Schnitt zwischen 1-2 Jahre. Vielleicht auch mit ein Grund, warum angeblich immer ich den "Kleinen" Flausen in den Kopf setzte.

Seit ich fünf bin esse ich keine Tiere mehr. Donnerstags - ich weiß es, als wäre es gestern erst gewesen, so hat es sich in mein Gedächtnis gebrannt - gab es Leberkäs. Und als Nachtisch rote Beete. Bäh. Ich hasse rote Beete. Noch heute wird mir von roter Beete, und wenn ich sie nur rieche, ganz übel. Ich weiß, das rote
Beete-Saft in fast allen Produkten enthalten ist, aber frisch ist sie für mich unerträglich. Also paßte das: denn wer seinen Teller nicht aufaß, der bekam auch keinen Nachtisch. Optimal! Ich pickte also immer nur den Kartoffelbrei vom Teller, den Rest ließ ich stehen.
 Zu Beginn sagte eine der Erzieherinnen (ja, die hießen tatsächlich so, da nannte man die weder Betreuerin noch Pädagogin, noch hatten sie sonst einen schicken Namen): "Iß deinen Leberkäs, sonst gibts keinen Nachtisch!" Und ich sagte: "Ich eß kein totes Tier!" "Leberkäs ist aber Käse, kein Fleisch!" sagte sie zu mir. Ich sah sie damals fest an während ich äußerte: "Käse ist gelb, Fleisch ist rosa, und Leberkäse ist rosa, also Fleisch!"
 Naja, das sollte nicht das letzte Mal sein, das ich den Nachmittag alleine verbringen durfte.

Denn in unserem Hort gab es eine tolle Überraschung für alle Besserwisser, Rabauken, Schreihälse, aufmüpfigen Charaktere und sonstwie unartigen Kinder: die "Schand-Ecke". Man bekam eine rote Mütze auf den Kopf und durfte, bis der Hort seine Türen schloss, an die Wand starren und über seine Schandtat nachdenken (natürlich erst nach den Hausaufgaben!). Nicht irgendeine rote Mütze! Das Ding war schmal und hoch und hatte sehr viel Ähnlichkeit mit einer Schultüte, wie man sie zur Einschulung von den Eltern bekommt. Aber natürlich waren in der Sünder-Mütze keine Süßigkeiten.
 Diese Ecke wurde mir schnell vertraut. Mindestens ein bis zwei Mal die Woche hockte ich da, in einer kleinen, mit einer dünnen, blauen Turnmatte ausgelegten Ecke.

Mehrere "Sünderstündchen" brachte mir E.T. ein. Wie jetzt? In echt! Ich war vernarrt in den kleinen Außerirdischen (und bin es heute noch, auch nach all der Zeit und gefühlten 1.000 Mal anschauen). Elf mal habe ich damals den Film im Kino gesehen. Ich war 10 zu der Zeit, und jeden noch so kleinen Schnipsel mit seinem Konterfei habe ich ausgeschnitten und in mein Zimmer gehängt. Da durfte natürlich der Bravo-Starschnitt nicht fehlen! Mein Zimmer war jahrelang vollgehängt mit E.T.-Postern und - Bildern. Und so war er auch das Modell für meine malerischen Gehversuche. Sollte ich mal welche finden, werde ich sie euch natürlich gerne zeigen... Jedenfalls malte ich E.T. auf jedes noch so kleine und große Zettelchen und Blatt Papier, das mich nackt und leer anstarrte. Ich konnte einfach nicht anders, ich liebte den kleinen schrumpeligen Kerl. Das mir im Hort die anderen Kinder - auch wenn sie den Film gar nicht kannten - es gleichtaten, konnte ich anfangs nicht erahnen. Die braunen Bunt- und Filzstifte waren eine Weile die ersten, die aufgebraucht waren.
 Nach einigen Monaten kam eine Erzieherin und sagte: "Du mußt aufhören, E.T. zu malen. Ab heute ist das verboten!" Ich malte dennoch weiter. Wer sollte mir das verbieten?

Ja ja, die Schand-Ecke. Dafür wurden wir natürlich nie geschlagen oder angeschrien. Alles in allem trieben die Erzieherinnen sich wohl mehr bei der Leiterin im Büro rum, um Kaffee zu trinken, zu quatschen und zu rauchen. Vom Büro aus hatte man auch einen praktischen Blick auf den Spielplatz & den Hof, von daher mußten sie meistens ihre Hintern nicht vor die Tür schwingen, während wir Kinder uns draußen aufhielten. Außer natürlich es gab wirklich einen schwerwiegenden Grund - bespielsweise obzöne Gesten, die Kinder untereinander machten. Ja, das war schon etwas, das unterbunden werden mußte. So auch an dem Tag, als ich eine Geste nachmachte, die mir ein Junge in der Schule gezeigt hatte. Die Leiterin kam höchstpersönlich aus dem Büro gerannt und zerrte mich wutentbrannt hinter sich her. Was ich mir dabei denken würde? Ob ich überhaupt wüßte, was das bedeutet. Ich würde damit die anderen Kinder versauen... Weia, was mußte ich mir da alles anhören. Mein Kopf sank mehr und mehr gen Boden, ich machte einen schuldbewußten Buckel und mir kamen die Tränen. Dabei hatte ich das doch hinter dem Rücken gemacht, wo keiner es hatte sehen können! Aber natürlich war eine Tussi, die ich nicht leiden konnte, direkt zu ihr gerannt und hatte ihr gezeigt, was ich so auf dem Hof verbreiten würde... "Ist das ein Zug, der durch einen Tunnel fährt?" hallt es mir noch heute in den Ohren. Tja, das Ganze entwickelte sich zu einem solchen Drama, das die Leiterin meinen Vater anrief. Auf der Arbeit! Und sagte, er müsse sofort kommen, ich hätte etwas Schlimmes angestellt. Als sie meinem Vater zeigte - weil ich mich genierte und seit Stunden mit hängendem Kopf dasaß und nicht wagte, jemals wieder aufzublicken - was ich für eine scheußliche Geste mit den Fingern gemacht hatte, zuckte ich im ersten Moment zusammen, als mir eine Hand über den Kopf streichelte. Dann hörte ich meinen Vater nur lachen und sagen, das ich es nicht wieder machen würde aber die Dame doch bedenken solle, das ich noch ein Kind sei und das sonstwo aufgeschnappt haben könnte.
Da mein Vater erst kurz vor Torschluss im Hort eingetrudelt war, blieb mir der Besuch in der Schand-Ecke erspart.

Aber von da an wollte ich nichts mehr machen. Ich glaube, das war der Zeitpunkt, als mir das Revoluzzer-Denken abhanden gekommen ist. Und trotzdem: die Geste habe ich weiterhin ständig gemacht. Doch nachdem ich meinem Vater von da an immer brühwarm erzählte, was mir die Erzieherinnen haben eintrichtern wollen, war letztendlich er es der ständig das Büro der Leiterin stürmte und darum bat, mir nicht einen solchen Stuss zu erzählen, denn ich würde das sowieso nicht glauben.

Hach ja, welch erbaulichen Erinnerungen! Das war die Kindererziehung in den End-Siebziger-/Anfang-Achtziger-Jahren. Da hat sich niemand aufgeregt über eine rote Mütze, Verbote der persönlichen und künstlerischen Freiheit, mit der Kinder beschnitten und eingegrenzt wurden, und niemand kümmerte sich darum, das die Erzieherinnen nur Mist erzählten. Damals haben wir den Kopf getätschelt bekommen und durften alles glauben, was uns erzählt wurde. Aufgewiegelt habe ich die Kinder im Hort dennoch so lange, bis es für mich Zeit wurde, dort meine Koffer zu packen. Ich sagte ihnen, was sie glauben könnten und was nur gelogen ist, und sagte ihnen ebenso, das sie nicht alles glauben sollen, was die Erwachsenen ihnen erzählen. Ob's geholfen hat? Wer weiß das schon... ;)

In diesem Sinne!

2 Kommentare:

  1. Danke! Die Geschichte führt auch mich zurück in eine Zeit, an die ich mich gerne erinnere!

    Eddi Brent und du habt mir mit euren Beiträgen zu einem neuen Blogpost verholfen --> kommt in den nächsten Tagen ;)

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    1. Freut mich sehr zu hören bzw. zu lesen! :) Bin auch inspiriert und werde das wohl noch ein wenig vertiefen... sofern ich meinen Krempel von annodazumal noch finde. Fande eure beiden Geschichten zum Thema "ich war sowieso" einfach spitze!^^

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