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Sonntag, 6. Mai 2012

Harry Brown



Drama/Thriller
GB 2009
Regie: Daniel Barber
Darsteller: Michael Caine, David Bradley, Emily Mortimer


Jugendliche Junkies erschießen im Drogenrausch am hellichten Tag eine junge Mutter. Als Rentner Harry sich des nachmittags mit seinem besten Freund zum Schach in ihrer Stammkneipe trifft, erzählt Leonard Harry, das er in Angst vor den jugendlichen Kriminellen lebt, die ihn immer wieder drangsalieren. Harry Brown tut dies erst als alterliche Verschrobenheit ab, doch als Leonard ermordet wird, greift er selbst zur Waffe...

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Daniel Barber liefert in seinem Spielfilmdebüt keinen reißerischen Thriller á la Hollywood ab, doch fehlt auch hier kein Hauch Action und Spannung."Harry Brown" zeichnet sich durch unbezwingbare Wirklichkeitstreue aus, die schon zu Beginn des Films schockiert. Rasch kann der Zuschauer sich denken, worauf die Geschichte hinauslaufen wird: Selbstjustiz. Doch steckt hinter der sichtbaren Fassade des Plots ein weitaus intensiverer, packenderer Handlungsstrang und eine erschreckende Aussage.

SPOILER!

Harry Brown, einst hochdekorierter Offizier der britischen Armee, lebt nun in einer Plattenbausiedlung am Stadtrand. Hier ist es alles, nur nicht heimelig: drogenversessene und betrunkene Jugendliche treiben sich rund um die Uhr vor dem Tunneleingang herum, der die Verbindung dieser Außenseiter-Siedlung zur "normalen" Welt symbolisiert: Wer von hier weg will, muss die Unterführung passieren. Und vor wie auch in eben dieser Unterführung kommt es ständig zu brutalen Übergriffen. So beobachtet Harry die Lage täglich, schiebt die Probleme, mit denen die Anwohner hier zu kämpfen haben, immer beiseite. Bis er vom gewaltsamen Tod seines Freundes Leonard Attwell aufgerüttelt wird und seiner Lethargie ein Ende bereitet: Er wendet sich an eben diejenigen, die auch die Jugendlichen mit Waffen und Drogen versorgen, und beginnt einen erbarmungslosen Rachefeldzug.

Mit hoher Intensität verkörpert der große Michael Caine hier den Harry Brown, der sich nicht länger den tätlichen Übergriffen der Jugendlichen beugen und dem selben Schicksal, das seinen besten Freund traf, ergeben will. Mit feinsinnigem Gespür für Realitätsnähe und kraftvoller Umsetzung der intelligenten wie auch subtilen Figur, tritt Caine einmal mehr in großem Stil auf: hier zeigt der Altmeister sein Können!

Die pflichtbesessene Polizistin Alice Frampton - passioniert verkörpert von Emily Mortimer - kombiniert den Fall der zunehmenden Morde an Drogendealern und auffällig gewordenen Jugendlichen richtig, und somit ist der erste Verdächtige, an den sie sich hängt, ausgerechnet Harry Brown. Selbst als die Spuren in eine andere Richtung weisen, hat sie den Fall im Kopf schon längst "geknackt" und alle Puzzleteile zusammengefügt. Für sie gibt es nur einen Dreh- und Angelpunkt zu all dem Geschehen in der Wohnsiedlung, doch auch ihr Vorgesetzter lenkt die Ermittlungen in eine andere Richtung. Erst als ihr eigenes Leben auf der Kippe steht, läßt sie von ihrer Hartnäckigkeit ab, jedoch nicht von ihrem Gerichtigkeitssinn.

Der Zuschauer ist hin- und hergerissen zwischen den nachvollziehbaren Motiven des Harry Brown, sich nicht nur zur Wehr setzen, sondern das Gesetz in die eigene Hand nehmen zu wollen, und der sympathischen Polizistin, die sich unbeirrbar an die Fersen des "Racheengels" heftet.



Mit harter, schonungsloser Linie wird hier ein gnadenloses Portrait der gesellschaftlichen Struktur in England gezeichnet, die zunehmend - vor allem in Vororten - schon lange zur unwiderruflichen Realität gehört: Dealerei mit harten Drogen und Waffen, zu denen vor allem den Jugendlichen leichter Zugang gewährt wird; die sich daraus ergebende Gewaltbereitschaft und das nicht mehr vorhandene Zurückschrecken vor Mobbing - bis hin zu Mord.

Dieser Film geht nicht spurlos am Zuschauer vorbei. Immer wieder stellt sich die Frage: wie würde ich selber handeln, was würde ich tun? Die Grenzen zwischen Gesetz und Gerechtigkeit verschwimmen schnell angesichts der großen Authentizität der Geschichte. Hier erscheint nichts "an den Haaren herbeigezogen", hier ist alles zum Greifen nahe. Mit plötzlich aufkommender, schreckenvoller Gewalt wird man hier mit dem Leben konfrontiert, wie man es nicht sehen will. Doch ebensowenig wie es Harry Brown gelingt, das brutale Geschehen länger zu ignorieren, gelingt es dem Zuschauer, sich diesem grandiosen und lebensnahen Film zu entziehen.

Bei diesem Film sollte man hingucken - unbedingt und bedingungslos!



1 Kommentar:

  1. Persönliche Anmerkung: dieser Film ist nicht einfach nur ein Film. Wenn auch die Figuren erfunden sind, so ist die Handlung dermaßen ergreifend, der Geschmack der Wahrheit so bitter, das es jeden Tag eben solche Geschehnisse gibt... das läßt einen nicht kalt zurück, sondern traurig und sehr nachdenklich - und wütend. Ein wirkliches Filmjuwel, das sich nicht scheut, die nackte und grausame Wahrheit zu zeigen - anwendbar auf jeglichen Alltag in irgendeinem Land, somit also nicht "fern" nur weil die Geschichte in einem anderen Land spielt!

    Über diesen Film zu schreiben war mir ein richtiggehendes Bedürfnis, auch wenn es noch so bitter ist. Dies ist einer der Filme, nach dem man am liebsten erstmal "allein" sein will... Schwer zu verdauen eben aufgrund des Realismus, den man doch lieber nicht so sehen mag. -.-

    Wenn ihr also die Chance habt, euch "Harry Brown" anzusehen, dann seht ihn euch an! Das ist mehr als nur ein Filmtipp... Dieser Streifen ist so unbequem und echt, das er mit Sicherheit nicht oft zu sehen sein wird...

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