Er betrachtete den Mann im Schaukelstuhl einen Moment verstohlen von der Tür aus. Der Mann wippte immerzu vor und zurück, vor und zurück, die Hände fest auf die Armlehnen gepreßt, die Finger in das alte Holz gekrallt. Stur starrte er vor sich auf den Boden, mit fahlem Gesicht und starren, glasigen Augen.
"Sind Sie Tom Broon?" fragte der Mann von der Tür aus schließlich.
Der Mann im Schaukelstuhl zeigte erst keine Reaktion, doch dann hielt er abrupt mit dem Schaukeln inne und betrachtete seinen Besucher abweisend. Endlich nickte er. Der Mann, ein Detektiv, der von Broons Familie engagiert worden war, um die Umstände, die ihn in diese Einrichtung gebracht hatten, aufzuklären, trat an
Broon heran. Dieser zeigte mit einem knochigen Finger, der von fast durchsichtig scheinender Haut überzogen war, auf das Bett, das neben ihm stand. Der Detektiv ließ sich darauf nieder und stellte sich leise vor:
"Ich bin Kurt Luck. Ihre Schwester hat mich gebeten, Sie zu besuchen und... " Er hielt inne.
Broon sah ihn an, und in seinen Augen blitzte ein seltsamer Funke auf. Wahnsinn sprach aus seinem Blick, und Luck erschauderte.
"Sie wollen wissen, was geschehen ist?!"
Luck erschrak ob dieser Frage, aber er nickte. "Ja, sie wollen wissen, wieso Sie jetzt hier sind. Wie es... wie es dazu kam... " druckste er.
Ein hochgewachsener, stämmiger Pfleger spähte um die Ecke in das Zimmer hinein und fragte Broon, ob er etwas benötige. Dieser verneinte und machte mit der Hand eine Geste, als wolle er den Pfleger verscheuchen. "Ich melde mich schon, wenn ich was brauche!" bellte er mit zittriger Stimme. Er begann erneut, mit dem Stuhl zu schaukeln und starrte vor sich auf den Boden. Nach einigen Minuten, in denen nur die knarrenden Geräusche des Schaukelstuhls die unheimliche Stille im Zimmer durchbrachen, sah er den Detektiv unvermittelt an. Mit festem, unabwendbarem Blick begann er zu erzählen.
"Ich habe schon immer eine große Faszination für das Kartenspiel empfunden. Schon seit ich ein Junge war, wollte ich von meinem Großvater alle Kartentricks lernen, die er auf Lager hatte. Die Spiele mit Karten bieten unendlich viele Möglichkeiten, und wenn man gut ist, dann steht einem die Welt offen - nein, sie liegt einem zu Füßen! So kam es, wie es kommen mußte: ich wurde ein leidenschaftlicher Spieler. Manches Mal hatte ich eine enorme Glückssträhne, und ich gewann viel, sehr viel Geld. Ich kaufte mir alles, was sich ein Mann nur wünschen kann: Häuser, Yachten, schnelle Autos, Frauen... Andere Male allerdings verlor ich nahezu alles, was ich besaß. Aber so ist das, ich jammere nicht. Mal gewinnt man, mal gehört deine Yacht am anderen Tag einem besseren Spieler... oder eher einem glücklicheren.
Ich war wieder in den Casinos unterwegs, nachdem ich mir eine längere Auszeit gegönnt hatte. Pause muß auch mal sein!" An dieser Stelle lachte er heiser auf, und seine Augen strahlten vor Freude. Über seinem faltigen Gesicht machte sich ein schelmischer Ausdruck breit. "Ich hatte eine gute Strähne - bis zu jendem Abend, als ein sehr junger Mann sich an meinen Tisch setzte. Er forderte mich heraus - und als alter Hase, arrogant wie ich war, selbstverliebt, ließ ich das nicht lange auf mir sitzen und nahm die Herausforderung an. Anfangs spielten wir um Geld. Ich verlor ein ums andere Mal. Dann steigerten wir den Einsatz - ich verlor ein Haus, egal. Nachdem ich zwei Autos und ein Boot an ihn verloren hatte, stieg ich aus. Der Kerl war pfiffig, dachte ich zunächst. Ich entfernte mich vom Tisch und setzte mich in eine dunkle Nische, in der er mich nicht sehen konnte, und beobachtete ihn bei seinem nächsten Spiel. Dem armen Tropf erging es nicht besser als mir: der junge Knilch nahm ihn aus bis aufs Hemd. Er verspielte alles, was er hatte, bis auf die Kleider an seinem Leib.
Ich konnte mir keinen Reim darauf machen und dachte, der junge Mann sei einfach ein Glückspilz. Sowas gibts.
Einige Tage später, ich zog wieder durch die Casinos, erblickte ich den jungen Kerl erneut. Ich erkannte seinen wirren Haarschopf schon von weitem und versteckte mich rasch hinter einer Säule. Der Kerl ließ sich in ein Séparée bringen, in Begleitung eines älteren, grauhaarigen Mannes mit Hut. Nachdem das Räumchen abgeschlossen worden war und der Schlüsselträger sich entfernt hatte, schlich ich mich an die Tür und lauschte.
Sie begannen, wie in dem Spiel mit mir, zuerst mit Geld. Doch der Alte schien kein gutes Händchen zu haben, und so wurden die Einsätze schnell erhöht: Autos, ein Luxusapartment, äußerst wertvoller Schmuck, eine Yacht... Spiel um Spiel gewann der junge Mann, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Er strich die Gewinne ein, als seien sie nichts, als sei es nicht das, nach dem er verlangte. Mit einer Handbewegung bedeutete er schließlich - ich konnte es durch die kleine Luke sehen, die sich in der Türmitte befand und die mit einem kleinen Riegel zu öffnen war - das das Spiel vorüber sei. Doch der Alte bettelte, er rief: "Nur noch ein Spiel! Ein Spiel!" Der junge Mann zögerte einen Moment und sagte dann mit kalter Stimme: "Und was, alter Mann, soll diesmal dein Einsatz sein?" "Nennt mir, was Ihr wollt, ich werde es Euch geben!" flehte der Alte. Der junge Mann beugte sich über den Tisch und zischelte dem Alten etwas zu. Dieser wurde bleich wie eine Wand und nickte dann leicht. "Gut, wenn Ihr es so wollt... !" sagte er mit tattriger Stimme.
Und so spielten sie eine weitere Runde. Doch der Alte war wohl zu nervös, vermute ich, als das er das Blatt noch ernsthaft hätte wenden können. Nachdem das Spiel beendet war, stand der junge Mann rasch auf. Er machte eine kurze Bewegung mit der flachen Hand über dem Tisch. Ich konnte mir darauf keinen Reim machen - was hatte das zu bedeuten? Abrupt wandte der Mann sich zum Gehen, und ich huschte schnell hinter die nächstbeste Säule, damit er mich nicht entdeckte. Als der Schlüsselträger kam und das Séparée aufschloss, konnte ich einen Blick in das Räumchen erhaschen: der Alte lag kopfüber auf dem Tisch, reglos, tot.
Ich hatte einen gehörigen Schrecken bekommen!" Broons dürrer, klappriger Körper, der kaum mehr als ein Skelett schien, wurde von einem heiseren Lachen geschüttelt, doch diesmal klang es bitter. "Ich malte mir aus, das der Alte vor Schreck, weil er alles verloren hatte, einen Herzinfarkt bekommen haben mußte. Doch es war ganz anders, aber das sollte ich erst viel später erfahren.
Nun, wie dem auch sei, ich verlor den jungen Mann aus den Augen. Doch wie es das Schicksal so wollte, lief er mir einige Tage später wieder über den Weg. Derweilen hatte ich wieder gut Geld gewonnen und glaubte schon wieder an eine Glückssträhne. Der Schreck, das ich so viel gegen den jungen Kerl verloren hatte, war längst vergessen. Ich verfolgte den jungen Mann erneut, ehe er in der Menge der Spielsüchtigen verschwinden konnte. Wieder ließ er sich in einem abgeschiedenen Raum unterbringen - diesmal in Begleitung von zwei Männern, einem jüngeren und einem älteren. Die beiden waren vornehm gekleidet - unaufdringlich und elegant, man konnte ihren Reichtum förmlich riechen.
Lange Rede, kurzer Sinn, es lief ab wie bei dem letzten Spiel, das ich heimlich hatte beobachten können: anfangs wägten die beiden sich wohl in Sicherheit, doch nach und nach verloren sie mehr und mehr und mehr... Der jüngere der beiden Männer stieg irgendwann aus und klingelte, um aus dem Séparée entlassen zu werden. Doch der ältere Mann blieb noch eine Runde länger. Auch er flehte letztendlich, weiterspielen zu dürfen. Der junge Mann machte, nachdem er die Runde gewonnen hatte, wieder diese seltsame Geste mit der flachen Hand. Und nun konnte ich sehen, was geschah: der Alte sank wie ein nasser Sack leblos auf den Tisch. Er hatte ihm das Leben aus dem Körper geholt!
Ich machte, das ich so schnell wie möglich dort wegkam. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen! Doch noch ehe ich den Schreck verdauen konnte, traf ich zwei Tage später den jungen Kerl schon wieder. Er lief mir direkt vor die Füße, als ich durch eines der Tanzlokale strich. Er schien mich in dem dämmrigen Licht nicht zu erkennen, denn er fragte, ob ich Interesse an einem Spielchen hätte. Ich verneinte mit verstellter Stimme und lief schnell nach draußen, ehe er mich doch noch erkennen würde. Doch meine Neugier siegte und ich kehrte in den Laden zurück. Ich sah gerade noch, wie er mit einem Mann, der Frack und Zylinder trug, auf die Empore trat und sich an einem der hinteren Tische niederließ. Ich schlich mich also unauffällig heran und konnte die beiden von einem kleinen Tisch am Geländer aus in Ruhe betrachten.
Der junge Spieler saß mit dem Rücken genau zu mir, und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick in seine Karten zu werfen. Und dann sah ich etwas Unglaubliches: die Karten strahlten in einem rötlichen Licht. Ein flackernder Schein umgab sie, als wären sie aus Feuer. Von der anderen Seite aus konnte man das nicht sehen, das wußte ich ja. Und ich war mir ganz sicher, das es das selbe Deck war, mit dem er gegen mich und auch die anderen unglücklichen Verlierer angetreten war.
Das Spiel verlief wie nicht anders zu erwarten war: der Zylinder verlor alles, was er besaß. Doch diesmal - vielleicht weil es kein abgeschlossener Raum war und sich hier noch andere Leute befanden, die ihnen zusehen konnten - beendete der junge Mann das Spiel nicht mit dieser seltsamen Handbewegung.
Bevor er sich erheben konnte, versteckte ich mich wieder. Und dann faßte ich einen Plan: ich mußte diese Karten besitzen! Um jeden Preis... koste es, was es wolle. Ich floh geradezu aus dem Etablissement, um in meinem Hotelzimmer einen Plan auszutüfteln."
Er lachte trocken und hustete. Luck erhob sich und nahm ein Glas, das am Waschbeckenrand stand, füllte es mit Wasser und reichte es Broon. Ihn neugierig anblickend ließ er sich wieder auf das Bett fallen und konnte seine Aufregung kaum verbergen, als er fragte: "Und? Wie haben Sie es geschafft?"
Broon trank hastig und sah Luck dann skeptisch an. "Woher willst du wissen, das ich es geschafft habe?" Er zog eine Augenbraue hoch, und Luck sah betreten auf seine Schuhe.
"Gut, weiter," begann Bronn schließlich, nachdem der peinliche Moment vorüber schien. "Ich tüftelte also an meinem Plan, wie ich dem Kerl das Kartenspiel abluchsen konnte. Keine Ahnung, was genau ich vorhatte, aber es ergab sich eine fantastische Gelegenheit: ich traf den Knilch am Abend des darauffolgenden Tages wieder im Casino nahe meines Hotels. Allerdings ließ er sich mit seinem neuen Opfer, denn nur so konnte man seinen Gegenspieler nennen, diesmal nicht in einem separaten Raum einschließen. Nein, er mischte sich unter die Menge, mitten in den großen Saal an einen der kleinen Tische. Hier konnte ich ganz frei und doch unauffällig seinem Spiel zusehen. Diesmal hatte er es nicht so leicht, denn sein Gegner war gerissen. Man merkte schnell, das er ein leidenschaftlicher Zocker war, dem das Verlieren nichts ausmachte. Und so locker, wie er an die Sache ranging, so locker gewann er auch die ein oder andere Runde. Das Spiel zog sich sehr in die Länge. Etliche Stunden mußten vergangen sein, und plötzlich erhob der junge Mann sich. Doch zu meiner großen Überraschung verabschiedete er sich nicht, nein, er schien sich lediglich erleichtern zu wollen. Ich sah eine unglaubliche Chance gekommen: Flink huschte ich durch die Menge und verweilte einen Meter nur neben dem besagten Tisch. Als der andere Spieler sich einen Moment lang mit der Bedienung unterhielt, griff ich schnell nach den Karten. Ich schleuderte mein eigenes Deck auf den Tisch und machte, das ich Land gewann. Ich glaube, so schnell bin ich noch nie freiwillig in einer Menschenmenge untergetaucht!"
Broon kicherte vor sich hin, als wäre ihm ein Geniestreich gelungen. Nun, dachte Luck, vielleicht war es das. Wohl eher aber nicht, angesichts des Zustandes, in dem sich sein Gegenüber befand. Der alte Mann schaukelte einen kurzen Moment gedankenverloren mit dem Stuhl vor und zurück, seine faltigen, spillerigen Hände auf die Lehnen gestützt, die dürren Beinchen fest auf den Boden gestemmt. Wie er so dasaß, wirkte er fast durchsichtig, so hell war seine Haut.
"Ich hatte nun also das Kartenspiel des seltsamen Spielers. Doch Spieler der ich selber bin, liebte ich das Risiko und wollte mich nicht wie ein gemeiner Dieb davon schleichen. Ich blieb also im Saal, in sicherem Abstand zum Spieltisch des jungen Mannes, und beobachtete seine Reaktion, als er an den Tisch zurückkehrte.
Seine Überraschung, als er nicht sein eigenes Kartendeck vorfand, wich rasch einem wütenden Ausdruck. Doch er bezichtigte nicht seinen Gegenspieler, an den Karten rumgepfuscht zu haben, jedenfalls erschien es mir so. Vielmehr glaubte ich zu hören, wenn das durch das Gemurmel und Lachen der Menge überhaupt möglich war, wie er sich von dem Mann verabschiedete. Zu meinem Entsetzen stakste der junge Kerl dann genau in meine Richtung davon. Als sein Blick den meinen streifte, schien er zu wissen, wer ihm seine Karten entwendet hatte... denn er legte ein boshaftes Lächeln auf und wandte sich mit einem Ruck an mich. "Wollen Sie es wagen, mein Herr, erneut gegen mich anzutreten? Der Einsatz diesmal dürfte Ihnen wohl bekannt sein!" raunte er. Ich war sofort in seinen Bann gezogen.
Wir gingen also in ein abgeschiedenes Eckchen und begannen... Zug um Zug, Karte um Karte. Nur, das diesmal ich die seltsam leuchtenden Karten in Händen hielt. Es war ein unbeschreibliches Gefühl!" Broon seufzte sehnsüchtig auf. "Ich fühlte mich unbesiegbar, stark und spürte eine Kraft in mir, wie ich sie selten empfunden hatte. Die Karten verliehen Macht, das war mir klar. Doch es war noch viel mehr: Magie steckte in jeder Karte! Und so gewann ich Runde um Runde.
Doch nicht nur die Karten waren der Einsatz: der Verlierer würde sein Leben lassen müssen! Ich schwitzte, zitterte, hatte angst - doch nur innerlich. Ich ließ mir nichts anmerken, dazu war ich Zocker genug. Doch mit der Zeit, die der junge Mann mehr und mehr Runden verlor, wirkte er älter. Es war, als sauge ihm jede verlorene Runde einige Jahre Jugend aus dem Körper. Und schließlich geschah das Unfaßbare:
Die letzte Runde, alles oder nichts, und die Karten sahen anfangs nicht gut für mich aus. Doch wie durch Magie - und genau das war es, was hier mitspielte! - wendete sich mein Blatt und ich gewann mit einer einzigen Karte. Der junge Mann saß einen Augenblick wie vom Donner gerührt - und plötzlich entwich seiner Kehle ein schrecklicher, markerschütternder Schrei. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer scheußlichen Fratze, es fiel ein, seine Hände, nein sein Körper, verlor jegliche Form. Unter Ächzen und schaurigem Stöhnen zerfiel sein Körper zu Staub... und dann ging er buchstäblich in Flammen auf.
Doch nach kurzer Zeit schon war es vorbei, und ich blickte auf die magischen Karten. Auch sie waren zu Staub zerfallen und lagen in kleinen, grauen Häufchen auf dem Tisch... "
Kurt Luck starrte Broon ungläubig an. Dann schluckte er hart und sagte: "Und das ist es, was Sie hierher gebracht hat?"
Broon schwieg einen Moment ehe er sagte: "Das ist alles erst vor einem Jahr geschehen, Junge. Und ich bin erst dreiunddreißig... "
Luck zuckte zusammen. Denn der Mann, der nun wieder monoton mit dem Stuhl zu wippen begann und mit glasigem Blick auf den Boden starrte, war mindestens achtzig.
- Ende -
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