Einer ihrer Bekannten hatte sie beim letzten gemeinschaftlichen Frühstück darauf hingewiesen: sie benötigte unbedingt einen weiteren Stuhl für ihren Küchentisch.
"Drei Stühle sind irgendwie... naja, es fehlt einer," hatte George gesagt und dabei gelacht.
Und sie stimmte ihm zu. Es fehlte was. Wenn sie so in der Küche saß - und sie hielt sich so gerne in der Küche auf - ertappte sie sich doch recht häufig dabei, wie sie auf den leeren Platz starrte, an dem eigentlich ein weiteres Sitzmöbel hätte stehen können. Es fiel auch jedem, der sie besuchte, direkt ins Auge, wenn sie in die Küche traten: der Tisch stand in der Mitte des Raumes, an drei Seiten je ein Stuhl. Nur zum Durchbruch hin, über den man ins Wohnzimmer gelangen konnte, war ein leerer Platz.
So entschloss Gredi sich am Sonntag Morgen den monatlichen Trödelmarkt aufzusuchen. Hier würde sich doch bestimmt was Passendes finden, dachte sie.
Wie es Trödelmärkte so an sich haben hält man sich meist länger auf ihnen auf, als man es eingeplant hat. So erging es auch Gredi, die sich nach fast zwei Stunden Bummelei mit einem gefüllten Korb voller Nippes und Kleinkram über den Markt schlendern sah. Doch wonach sie suchte, hatte sie noch nicht ausfindig machen können.
Als ein kühler Wind aufkam und die kaum wärmende Sonne hinter einigen Wolken verschwand, seufzte Gredi und zuckte die Schultern.
"Dann eben ein andermal," dachte sie und beschloss, sich auf den Heimweg zu machen. Doch kaum hatte sie den Entschluss gefaßt, erspähte sie hinter der Imbißbude eine dunkle Ecke, ausgelegt mit einer grauen Wolldecke. Auf der Decke lagen wild verstreut Küchenutensilien, Besteckteile, ein paar alte Lampenschirme aus Glas und Keramik, und in der Mitte prangte ein Stuhl. Gredi trat rasch näher und besah sich das Möbel.
Schön war er nicht, der Stuhl. Alt wohl, aus dunklem Holz, verkratzt war er auch. Und sperrig. Eckig. So ganz und gar nicht ihr Stil. Doch es war, als ziehe er magisch ihren Blick auf sich. Sie konnte sich nicht abwenden und wußte: "Der ist es!"
Sie sah sich um, denn der Verkäufer war weit und breit nicht zu sehen. Dann hörte sie eine brummende, leise Stimme:
"Helfen Sie mir, den Kram ins Auto zu laden? Es gibt schlechtes Wetter."
Sie spähte Richtung des kleinen Transporters und erkannte im dämmrigen Licht der herannahenden Schlechtwetterfront einen dürren, alten Mann, der halb auf dem Beifahrersitz hockte.
"Wie viel möchten Sie denn für diesen ollen Stuhl haben?" fragte sie fröhlich.
"Hören Sie," brummte der Alte, "helfen Sie mir, und ich fahre Sie und den Stuhl nach Hause."
"Das ist ein tolles Angebot... " begann sie, ganz auf eine zähe Verhandlung eingestellt, "aber was kostet er?"
"Sie helfen mir, und ich fahre Sie."
"Sonst nichts?" fragte sie verwundert.
"Sonst nichts." Und das ließ keine weiteren Fragen offen.
Zusammengeräumt war das bißchen Krempel schnell, und Gredi, die immer gut hatte anpacken können, verstaute die alten Waren rasch und geschickt im Wagen. Der Alte hielt Wort: er fuhr sie bis vor die Haustür. Und noch mehr, denn er brachte den Stuhl sogar in ihre Wohnung.
Sie bot ihm noch eine Tasse Tee oder Kaffee an, aber er lehnte wortlos ab, nur eine Geste der Ablehnung machend. Und nun stand sie im Durchbruch zu ihrer Küche und besah sich ihr neues Möbel. Auch im weichen Licht der Küchenlampe wirkte dieser Stuhl nicht schön, aber er entfaltete einen ganz besonderen Charme.
"Und nun," sagte Gredi in die Stille hinein, "wollen wir dich mal testen!"
Sie setzte sich. Rutschte einige Male hin und her, als wolle sie sich eine Sitzkuhle schaffen. Die Gemütlichkeit testen. Sie lehnte sich vor und zurück, stützte die Ellbogen auf den Tisch, tat als esse sie, hüpfte auf und ab, wackelte hin und her. Der Stuhl gab weder nach, noch paßte er sich ihren Bewegungen an. Sperrig eben, dachte sie.
Nachdem sie einen Moment ruhig dagesessen hatte, überkam sie eine seltsame Müdigkeit. Ob sie sich ein wenig auf ihr Sofa legen sollte? Nur ein halbes Stündchen... dachte sie noch, und war augenblicklich eingeschlafen.
Eine junge Frau, mit welligem, dunkelbraunem Haar und strahlenden, blauen Augen schien in einem kleinen Garten zu tanzen. Weiße Rosen blühten um sie herum, und die Kirschbäume trugen kleine, zarte Knospen. Die Sonne strahlte vom Himmel, hellblau und mit weichen Wolken überzogen. Ein herrlicher Frühlingstag, warm und frisch, lebendig und stimulierend.
Die Frau tanzte um die Bäume herum, um die Rosenbüsche und lachte. Ein reines, helles Zwitschern, voller Frohsinn und Lebensfreude.
Ein Mann kam auf sie zu, als wolle er sie fangen. Er lachte. Er streckte die Arme nach ihr aus. Der Mann war einige Jahre älter als sie und wirkte grobschlächtig, ein wenig plump, doch aus seinen Augen sprach unbestreitbar Liebe.
Gredi wachte mit einem kleinen Schreck auf. Ihr Blick fiel auf die Küchenuhr, die munter tickte. Zwei ganze Stunden waren vergangen, seit sie hier eingeschlafen war. Gredi erhob sich und streckte den Rücken durch. Sie wunderte sich, das sie sich so erfrischt fühlte, nachdem sie offensichtlich sehr lange auf dem alten Möbel gesessen hatte.
"Guter Stuhl!" sagte sie fröhlich und vergaß den Traum rasch.
Gegen Abend war ihr Bekannter zum Essen gekommen. Sie hatten eine Weile gemeinsam gekocht und sich unterhalten, ein ausgiebiges Mahl zu sich genommen und saßen noch auf ein Glas Wein beisammen. Doch Gredi übermannte eine bleierne Müdigkeit und so ging George früher, als es geplant gewesen war. Sie hatten noch ein wenig Dame spielen wollen, verschoben die Partie aber auf ein andermal.
Gredi schlüpfte in ihren Pyjama und wollte das Licht in der Küche löschen, als ihr Blick von dem Stuhl angezogen wurde. Es war, als könne sie die Augen nicht abwenden, gleich wie müde sie war.
"Soll ich... ?" flüsterte sie und runzelte die Stirn. Aber warum sich auf diesen alten Stuhl setzen, wenn sie doch auf dem Weg ins Bett war?
"Ach, was solls!" sagte sie leise und ließ sich nieder. Es dauerte nur einige Minuten, und Gredi glitt in einen festen Schlaf.
Die junge Frau lag im Bett. Ihr Haar war zerwühlt, das Oberteil ihres Pyjamas aufgeknöpft und die Decke bedeckte sie nur zur Hälfte. Sie schlief fest, mit einem Lächeln auf dem Gesicht; zufrieden sah sie aus. Als jemand den Vorhang zur Seite zog, fiel Sonnenlicht auf das Bett und tauchte ihr Gesicht in einen goldenen Glanz. Langsam öffnete sie die Augen und reckte sich.
Der Mann trat an sie heran und sagte etwas. Ganz leise, zärtlich, und sie kicherte wie ein Schulmädchen. Sie legte die Arme um seinen Hals und zog ihn zu sich aufs Bett. Er küßte stürmisch ihr Gesicht, wehrte sie jedoch mit den Händen ab.
"Du weißt doch, das ich jetzt los muss! Wir sehen uns heute abend wieder!"
Barsch riss er sich von ihrer leidenschaftlichen Umarmung los. Schmollend blickte sie ihn nun an, doch schon nach Kurzem streifte wieder das zwitschernde Lachen über ihre Lippen.
"Ich kann es kaum erwarten!" sagte sie leise und hauchte ihm einen Handkuss zu, während er zur Tür ging und zum Abschied winkte.
Wieder schreckte Gredi hoch. Sie rieb sich die Augen und versuchte, sich zu fassen. Wo... ? Sie sah sich um. Alles war in Dunkelheit gehüllt. Demnach mußte es schon spät in der Nacht sein.
Viel zu müde, um über den Traum nachzudenken, schleppte sie sich auf ihr Schlafsofa und wickelte sich rasch in die Decke. Sie schlief sofort ein. Doch die Frau sah sie nicht. Überhaupt schien sie nichts zu träumen.
- Fortsetzung folgt! -
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