Der Ort war wie ein Baugerüst. Natürlich war es kein Baugerüst in üblichem Sinne. Es war wie eine Möglichkeit, über diese schmalen „Straßen“ alle sich auf dem Gerüst befindlichen Menschen und auch die Fenster des Hauses1 zu erreichen, um das sich das Gebilde2 rankte. Überall befanden sich Nischen und Balkone, die stellenweise sogar bepflanzt waren, teils mit Teppich ausgelegt.
In diesen Nischen und Balkonen3 standen Leute; einige redeten in Grüppchen miteinander, manche boten Waren feil (Rucksäcke, Schmuck), andere verkauften Getränke – alles in allem wirkte das bunte Treiben an diesem Ort wie ein Volksfest.
In einer Nische recht weit oben dann stand ein Musiker, der auf seiner Gitarre harten Trash spielte und brüllte dazu aus Leibeskräften in sein Mikro. Ich kann mich nicht erinnern, was für ein Lied4 das gewesen sein soll, aber ich sang (bzw. brüllte) ebenfalls aus voller Kehle mit.
Dann erschien mein Cousin, J. Er stichelte, das ich darauf natürlich abfahren würde, das ich bestimmt mit dem Kerl was anfangen wolle, das ich ihn hintergehen würde... Er bedrängte mich geradezu.
Ich beobachtete den Typen mit der Gitarre – es wird wohl mein bester Freund gewesen sein, das liebe Hemdchen5. Er hatte lange, wellige Haare6 und das markante Grinsen7 im Gesicht. Mein Cousin zog mich zu einer der ruhigen Nischen und wollte einen Streit vom Zaun brechen. Ich wandte mich jedoch ab. Ich entriss ihm mein Handgelenk, das er fest umklammert hielt, und ging auf den Gitarristen zu. Es war eine enorme Kraftanstrengung, und der Weg zu ihm war steil. Der vorher ebene Boden des Gerüsts hatte sich angehoben, verändert.8
Letztendlich bin ich aufgewacht. Ich befand mich auf dem Weg zu dem Gitarristen. Welch ein Gefühl ich dabei hatte, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, ich fühlte etwas wie Erleichterung.
1 das Haus war kein Haus in üblichem Sinne: es war ein riesiger Komplex, altmodisch (BJ ca. 1850), mit hohen, in Holz gefassten Fenstern, die eher wie Schaufenster wirkten;
2 das Gebilde, das wie ein Gerüst wirkte, bestand nicht aus Stahl und Holz, sondern schien aus dem selben Stein wie das Haus. Es handelte sich dabei also eher um eine Erweiterung des Gebäudes;
3 die Balkone waren ebenfalls unüblich, hatten sie keine Balustrade, sondern waren eher wie kleine, nach vorne offene Räume und stellenweise wie an das Gerüst angelegte Plattformen;
4 meiner Ansicht nach gibt es diesen Song gar nicht, aber im Traum habe ich ihn gekannt;
5 sein Spitzname;
6 seit einigen Jahren schon hat er allerdings kurze Haare;
7 daran erkennt man ihn: er grinst meistens; deshalb denke ich im Nachhinein, das es nur Hemd gewesen sein kann, der da sein Können zum Besten gab;
8 psychologisch steht das dafür, das man sich bzw. ein Hindernis überwinden muß; in diesem Fall wird das Hindernis mein Cousin gewesen sein bzw. seine herrische Art, gegen die ich mich auflehnen mußte;
Auseinandernehmen des Traums:
An sich steht das alles, wenn ich es mir so durchlese und Revue passieren lasse, für die Zeit, als ich noch bei meinem Cousin gewohnt habe. J. war ungesund eifersüchtig, gab sich nach außen hin locker, war allerdings in sich ein völlig eingefahrener und verkrampfter Typ. Das es sich bei dem Ort des Traumes um eine Art Fest handelt liegt nahe, denn obwohl mein Cousin gern einen trinken gegangen ist und auf jedes der Feste ging, die hier jährlich so stattfinden, konnte er diese Lockerheit nur ausleben, wenn er einen sitzen hatte. Und das auch nur bis zu einem gewissen Pegel, denn dann wurde er streitsüchtig und aggressiv. Da wir während unseres Zusammenwohnens (denn Leben will ich das im Nachhinein nicht mehr nennen) viel miteinander unternommen haben, gingen wir auch gemeinsam auf diese Feste. Doch sobald ich Interesse an etwas anderem als an ihm hatte, wurde er eifersüchtig und begann mit seinen Sticheleien (die oftmals in wilden Schimpftiraden und Anschuldigungen gipfelten). Das ging stellenweise so weit, das ich mir Zuhause nur noch Filme/DVDs/Musikvideos ansehen konnte, in denen keine Typen dabeiwaren, die ich gut fand. Ich habe mit der Zeit einfach nicht mehr erwähnt, das ich wen gut finde, um den vorprogrammierten Streitereien aus dem Wege zu gehen.
In dieser Zeit, als es schon sehr schlimm Zuhause war, unerträglich für mich und ich mich nur noch überwacht und eingesperrt fühlte (und genau das war ich auch, im wortwörtlichem Sinne) lernte ich Hemdchen (Iason) kennen. Er gab mir Kraft und Mut, den Absprung endlich zu wagen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Ich hätte es ohne ihn nicht geschafft!
Das Gerüst, das ja eigentlich keines ist, stellt die Umgebung dar, in der ich damals gelebt habe. Obwohl solide – denn ich konnte jeden Wesenszug, jede Reaktion von J. vorhersagen; es gab fünf Jahre einen (wenn auch grausamen) Alltag, den ich zu bestreiten hatte – änderte sich die Konstellation der Wege mit der Zeit: anstelle zu J. hinzuführen, führten diese Weg fort von ihm. Das brachte natürlich mit sich, das ich mehr Kraft aufwenden mußte, um mich aus meinem Gefängnis (die Umklammerung meines Handgelenks, die ja in der Realität damals ein ständiges Verhaltensmerkmal J.s war) zu befreien.
Wenn man das also so betrachtet, auf die Essenz reduziert, dann symbolisiert der Traum nur das, was ich vor etwas mehr als vier Jahren tatsächlich geschafft habe: die Loslösung von einem brutalen Menschen, der mich unterdrückt und eingesperrt hat, hin zu einem vertrauenswürdigen Menschen, der mich um meiner selbst Willen gern hat und mich so nimmt, wie ich bin.
Warum ich nach so vielen Jahren nun davon träume, kann ich nicht sagen. Doch ich denke, das da noch sehr viel Unverarbeitetes in mir schlummert, das gesagt werden will, ausgedrückt, niedergeschrieben verarbeitet.
Da hast Du Dir aber Arbeit gemacht, mit aufschreiben und Analyse....
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