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Samstag, 17. Dezember 2011

Wut - Ich bin kein Opfer! (Erfahrungsbericht/Verarbeitung-Auseinandersetzung)

Fast 10 Jahre ist es jetzt her – ich muß es manchmal langsam aussprechen: zehn. Zehn. Zehn Jahre. Mein Mann hatte eine neue Frau gefunden und mich viele Wochen lang belogen. Er verkaufte mich für dumm, das war es, was mir am meisten weh getan hat in dieser Situation! Er meinte, ich merke nicht, wenn er erst nachts gegen halb zwei/halb drei Uhr nach Hause käme und behauptete, er habe so lange arbeiten müssen. Ja klar! Dabei hockte er mit der Tussi im Auto rum. Angeblich hatten sie nix miteinander, sie seien nur sehr verliebt ineinander gewesen. Von mir aus. Das ständige Gepiepse auf seinem Handy, wenn eine sms von der Tussi
gekommen ist – er hat damals nie sms von irgendwem bekommen. Aber er sagte mir, es sei von dem Kollegen aus der Nachbarsdruckerei. Ja klar! Dieser gekränkte Stolz war es, der meine Wut zum Vorschein brachte. Ich habe viel geweint – aber nur aufgrund der Tatsache, das ich fast all meine Tiere – und das waren sehr viele! - bei ihm zurücklassen mußte wenn ich auszog. Ich hätte weder den Platz noch das Geld gehabt, sie alle oder teilweise mitzunehmen. Nur meine zwei liebsten Kaninchen und die zwei Meerschweinchen konnte ich in meinen neuen Lebensabschnitt mit hinüber retten. Noch heute tut mir das Herz weh, wenn ich an meine vielen Rattenmädchen denke, die ich zurücklassen mußte...
Warum ich um den Mann nicht weinte? Nicht eine Träne? Er war aggressiv, hatte sehr viel getrunken und neigte zunehmend zu Gewaltausbrüchen (die er auch immer häufiger an mir ausließ). Zudem fühlte ich tief in mir, das ich ihn nicht mehr liebte. Es war gut, das wir uns getrennt haben.

Ich hatte dann meine kleine, eigene Wohnung: zwei schnuckelige Zimmer, ein helles Tageslichtbad mit großer Wanne, eine riesige Küche – die ich nicht wirklich brauchte und nach der ich mich mittlerweile manchmal zurücksehne! - einen winzigen Flur. Die Zimmer, die zur (ruhigen, kleinen) Straße hinausgingen waren hell dank der hohen Fenster. Es war eine wundervolle kleine Wohnung, die ich mir so gut als möglich gemütlich einrichtete. Ich habe damals viel mit Postkarten gearbeitet, habe sozusagen „Themen“ an die Wände gehängt. Also Karten, die irgendwie unter einem Motto gestanden haben... Es war einfach schön dort!
Kurz nachdem ich eingezogen war, lernte ich an einem warmen, sonnigen Tag bei einem kühlen Apfelwein in meiner Stammkneipe einen Typen kennen, der mich ansprach und meinte, wir seien uns ein Jahr zuvor schon in diesen Räumlichkeiten begegnet. Ich sei mit einem Mann dagewesen, aber wir hätten uns sehr nett unterhalten. Ich konnte mich kaum an den Typen erinnern, aber die anderen Stammgäste wußten tatsächlich noch von der Begegnung zwischen ihm und mir. Und nun, da ich frei war, verliebte ich mich Hals über Kopf in den Typ. Bert. Er war Holländer und kam aus der Nähe von Venlo. Meine Lieblingsstadt. Ich konnte nur noch an ihn denken – er hatte mein Herz im Sturm erobert. Er war so aufmerksam und süß und niedlich und lieb... und verheiratet.

Da Bert nur auf Montage in unserer Stadt war, sah ich ihn natürlich nach den 3 Monaten nicht mehr so oft – zwei Mal kam er noch für einige Stunden hierher gefahren. Aber da war mir schon klar: wenn ich ihn nicht ganz haben kann, will ich ihn gar nicht haben. Die Freundin meines Vaters, Irina, hatte damals dann eine Idee: wir buchten zwei Übernachtungen in Venlo, und ich solle Bert smsen, wann wir am Bahnhof ankommen würden. Wenn er dann dorthin käme um mich zu begrüßen, könnte ich mir überlegen, ob das mit ihm nicht doch was werden würde. Innerlich wußte ich schon, das das nichts gibt und das ich mit einem Verheirateten nix haben wollte (wozu es ja eigentlich schon zu spät war). Wie dem auch sei, er kam natürlich nicht an den Bahnhof – denn wie hätte er das seiner Frau erklären sollen, das er am Wochenende nicht da ist, wo er sonst nur unter der Woche arbeiten mußte?
Ich war wenig enttäuscht, als Bert nicht an den Bahnhof kam und hakte die Sache ab. Irina und ich gingen also am Abend so richtig einen trinken. Und trinken konnten wir beide echt viel! Schließlich landeten wir in einer Lokalität, wie es sie in Deutschland gar nicht gibt. Es war einfach toll: Ein Lokal, fünf Räume, alle mit unterschiedlichen Musikthemen, unterschiedlichem Essen und Getränken. Verbunden waren die Kneipen über lange Flure, ein wenig wie ein Labyrinth. Doch zahlen mußte man am Ende nur in einem Lokal. Einfach klasse! Und so kam es, das wir dann auf einige Typen stießen, mit denen wir ins Gespräch kamen. Nun ja, eher ich, denn Irina konnte kein Englisch, und diese Typen waren Engländer.

Um es abzukürzen: ich war dann mit dem einen – so einem komischen Vogel, ein richtiger Loser, für die ich ja eine Schwäche zu haben schien – zusammen. Und obwohl er in Venlo wohnte und ich hier, in Wiesbaden, war das kein Hindernis: jeden Monatsanfang, wenn meine Kohle auf dem Konto war, packte ich meinen Rucksack, kaufte eine Hinfahrkarte nach Venlo, und fuhr auf unbestimmte Zeit los. Manchmal blieb ich eine Woche, manchmal zwei, drei... die längste Zeit am Stück waren sechs Wochen. In dieser Zeit fütterte dann mein Vater und Irina meine Kaninchen und die zwei Rattenmännchen, die ich mittlerweile bei mir hatte (die Meerwutze waren gestorben). Manchmal besuchte er mich für einige Tage, wenn er sich auf der Arbeit frei machen konnte, und wir fuhren dann gemeinsam nach Venlo zu ihm.

Tief in mir fühlte ich, das ich ihn nicht liebte. Ich hatte ihn manchmal ganz gern, aber irgendwie denke ich nun, das ich ihm nur einen Weg zeigen wollte, mit seiner unterschwelligen Aggression umzugehen und ein positiver Mensch zu werden, der nicht immer mit einer fiesen Miene durch die Gegend läuft. Eines Abends dann, der Typ war fürs Wochenende zu mir gekommen, rief ich meinen Cousin an. Und so gingen wir den dann besuchen. Was ich nicht mitbekommen habe: mein Cousin, in einer selten dummen, betrunkenen Anwandlung, gab dem Kerl Psychopharmaka. Das der Kerl am liebsten kiffte und in seiner Jugend mal heroinsüchtig war, wußte ich. Aber das die Tablette dann bei ihm so anschlug, habe ich nicht geahnt. Zumal ich diese Aktion nicht mitbekommen habe – nur im Nachhinein, einige Jahre später, denke ich, das es damit zu tun haben könnte.

Ich habe die Anzeichen ignoriert. All diese seltsamen Anwandlungen, die der Typ hatte: wenn ich von einem Besuch bei ihm nach Hause fuhr und wir uns am Telefon (wodurch ich mich hoch verschuldet habe, ich selten blöder Idiot) mal uneinig waren (was auch darauf zu schließen war, das ich zwar sehr gut Englisch sprechen konnte, mir aber viele Begriffe einfach mit der falschen Bedeutung im Kopf gehaftet waren und er somit auch nicht wußte, was ich meinte), dann riss er zum Beispiel die Bilder, die ich bei ihm aufgehängt hatte, nicht einfach nur von den Wänden, nein, er zerfetzte sie in winzig kleine Schnipsel und schmiss sie in der Gegend rum. Wie er auch einen Hang dazu hatte, Klamotten einfach zu zerreißen und solche doch aggressiven Dinge. Ich habe das zwar wahrgenommen, aber ich habe es ignoriert. Nein, nicht direkt ignoriert. Mir fehlt das passende Wort, um zu beschreiben, das ich diese Warnsignale gesehen, aber nicht empfangen habe. Ich wußte, was sie bedeuten, und dennoch bin ich darüber hinweggeangen.

Morgens, es war noch nicht richtig hell draußen, hämmerte der Kerl an die Schlafzimmertür. Da ich nicht gewußt hatte, wo ich mich hinlegen soll, hatte ich mich nachts einfach ins Bett meines Cousins gelegt. Was ist schon dabei? Der Kerl sah das und flippte aus. Er war wie auf Drogen (wie bereits erklärt, so werden die Tabletten auch gewirkt haben, und da ich nicht dabei war, als er sie eingeworfen hat, weiß ich nicht, wie viele er geschluckt hat). Es gab einen lautstarken Streit, ich in meiner unausgeschlafenen Laune war sofort auf 180, während er mich anschrie. Was es war, weiß ich nicht mehr. Ich habe es verdrängt, denke ich. Es ging letztendlich darum, das er mir meinen Wohnungsschlüssel wiedergeben sollte. Das ging eine ganze Weile hin und her, und mein Cousin deeskalierte die Situation nach einer Weile.

So kam es dann, das ich am Mittag gemeinsam mit meinem Cousin zu mir nach Hause fuhr. Auf der Straße vor der Haustür schon lag eine platt gequetschte Bierdose. Zuerst lachte ich und meinte, er habe sich wohl noch ein paar Bier in den Kopf gehauen.
Doch als ich vor meiner Wohnungstür stand, blieb mir alles im Halse stecken. Mein Magen krampfte sich schlagartig zusammen und mir wurde schlecht. Die Tür ließ sich kaum öffnen, und was mich dann erwartete, traf mich wie ein Schlag: der Flur, klein wie er war, völlig verwüstet breitete er sich vor mir aus. Die mehrschubladige Kommode war in kleinste Teile zertrümmert, die Postkarten und Poster zerrissen, der Kommodeninhalt überall derbrochen, zertrampelt, zerschmettert... Die Küche, das Wohnzimmer, das Schlafzimmer, das Bad – überall der selbe, furchtbare Anblick. Ich zitterte am ganzen Körper und schrie nach meinen Kaninchen und meinen Ratten. Vorsichtig bahnte ich mir einen Weg durch die gut einen Meter hoch aufgetürmten Trümmer meines Wohnungsinhaltes.
Die Tiere lebten alle. Meine zwei Kaninchen sprangen unter dem ganzen Dreck und zertrümmerten Schutt umher, und ihnen allen ist zum Glück nichts geschehen! Denn die Käfige sahen anders aus.
Alles in allem, um es auch mir zu verkürzen: ich habe Bilder von Häusern gesehen, in denen eine Bombe eingeschlagen ist. Meine Wohnung sah schlimmer aus. Es mag unglaublich klingen, aber so ist es.
Nachdem ich damals meine Tiere wohlbehalten wußte, brach ich zusammen. Ich erlitt einen Schock und wußte nicht weiter. Das Zittern, das innerliche Beben, hielt noch Wochen später an. Manchmal konnte ich nicht richtig laufen, so sehr gaben meine Beine nach.
Doch der richtige Schock sollte noch kommen.

Einige Tage später, nachdem ich versucht hatte mich zu fangen (was mir aber nicht gelungen war), bot sich ein bekanntes Pärchen meines Cousins an, Fotos von dem Chaos zu machen. Das konnte nicht schaden, die Bekannte meinte, ich könne damit zum Anwalt oder sie der Polizei vorlegen. Sie verknipste insgesamt 100 Bilder – und diese konnten das Ausmaß der Verwüstung nicht wiedergeben. Nachdem die Bilder entwickelt waren saßen wir alle beisammen, und die Bekannte sagte dann zu mir in einem seltsamen Tonfall: „Du hast wirklich Glück gehabt, das Du nicht in der Nähe warst, als der so ausgeflippt ist. So wie es aussieht, wollte er dich umbringen.“
Auf einigen der Bilder sah man, das der Kerl Papierkram angezündet und es auf den Herd gelegt hatte. Er hatte versucht, die Wohnung abzubrennen. Und als mir das – zu den Worten der Bekannten – bewußt wurde, brach in mir etwas, von dem ich nie gedacht hätte, das das möglich wäre (nicht nach all dem, was ich mit meinem Exmann habe mitmachen müssen): all mein Selbstvertrauen und meine Hoffnung brachen entzwei. Er hatte mich gebrochen.

Auf den Schock folgten traumatische, schreckliche fünf endlos scheinende Jahre mit meinem Cousin, der mich striezte, überwachte, krankhaft eifersüchtig auf mich aufpaßte, mich schlug, mich verprügelte, mich demütigte und mich einsperrte. Anfangs, in meiner Not, da mir alles genommen worden war, für das ich je gearbeitet hatte, das ich mir jemals selber zuglegt hatte, als ich mit leeren Händen und einer gebrochenen Seele dastand, da erschien mir die Idee, zu meinem Cousin zu ziehen als rettender Strohhalm. Doch ich habe in meiner Angst, die mich gepackt hatte, beherrschte, den Absprung nicht früh genug geschafft, um wieder selbständig, selbstbewußt zu werden.
Durch die – ich nenne es jetzt einfach so – Geistesgestörtheit meines Cousins hatte ich keine Zeit, dieses Trauma zu verarbeiten. Ich lebte fünf Jahre mit einem Menschen zusammen, den ich dachte zu kennen und doch gar nicht kannte. Ein Mensch, der selber rückgratlos und duckmäuserisch veranlagt ist, und seinen Eigenhass und die eigene Unzulänglichkeit nur zu gerne an Schwächeren ausläßt. Der Schwache war ich, und er hat meine Not und meine Angst ausgenutzt, um mich weiter zu beugen, zu knüppeln und zu brechen. Fast hätte er es vollkommen geschafft... fast.

Ich habe ein Trauma erlitten. Das ist nun fast 10 Jahre her. Doch noch immer, wenn mir die Fotos in die Hände fallen, zittere ich am ganzen Körper. Noch immer, wenn ich an das Geschehene denke, wird mir heiß und kalt und ich fühle mich, als bekäme ich keine Luft.
Mittlerweile habe ich keine Angst mehr. Doch diese Angst hielt mich fast zehn Jahre fest in ihrem Griff: ich konnte nicht mehr vor die Tür gehen, ohne Panikattacken zu erleiden. Ich konnte in kein Kaufhaus, keine Aufzüge, auf keine Rolltreppe, unter Menschenmengen; nicht mehr richtig Telefonieren ohne das meine Stimme zitterte, ich konnte nicht schlafen ohne Alpträume, ich konnte nicht atmen, nicht leben. Immer, wenn ich einen Mann sehe, der dem Kerl ähnelt, überfällt mich ein Gefühl von Ekel, Abneigung und Hass. Zehn Jahre wohnt diese Aggression in mir, und ich weiß manchmal nicht, wohin damit. Doch durch meinen Glauben, der mir Kraft und Halt, Hoffnung und Mut spendet, bin ich imstande, mich dem zu stellen. Ich sehe der Angst in die Augen, wenn sie in mir aufkeimen will. Ich gehe raus, ich gehe unter Menschen, ich telefoniere, ich atme, ich lebe.
Nicht zuletzt ist es der Verdienst von Ralf, das ich wieder ein Rückgrat habe, das ich wieder stark bin und angstlos. Er hat mir gezeigt, das man einem Menschen vertrauen kann, ohne befürchten zu müssen, Qualen zu erleiden oder ständige Enttäuschungen hinnehmen zu müssen. Er hat mir gezeigt, das es die wahre Liebe gibt, eine Liebe, in der man einen Menschen so akzeptiert und hinnimmt, wie er ist, ohne ihn einengen oder verändern zu wollen.

Ich danke ihm von ganzem Herzen! Und ich danke Gott, das ich all das habe durchleiden müssen und dabei so vieles Wichtige für mein Leben habe lernen können! So schrecklich diese Erfahrungen waren, so viel habe ich dadurch beigebracht bekommen. Mein Leben ist so viel reicher und tiefsinniger geworden, seit ich die Angst besiegt habe und endlich wieder atmen kann. Es war ein sehr, sehr schwerer Weg – aber ich bin ihn gegangen!

Und auch wenn ich manchmal wütend bin – endlich! wütend! nicht furchterfüllt! - so arbeite ich mit dieser Wut. Ich schlucke sie nicht runter, ich ignoriere sie nicht, ich wandle sie nicht in Aggressionen gegen andere oder mich selber um. Mir ist eines ganz klar: ich bin kein Opfer! Das lasse ich nie mehr aus mir machen!

16. & 17.12.11, Soda.

2 Kommentare:

  1. Da hast Du aber ganz viel Privates von Dir erzählt! Es ist schön, dass es ein Happy End in Anführungsstrichen für Dich gegeben hat. Ich wünsche, dass Du nie mehr solche Gewalt und Demütigung erfahren wirst. Danke, dass Du mich an Deiner Geschichte teilhaben lässt.
    Ganz lieben Gruß und drück Dich, Biene

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  2. Ich danke Dir, Biene! So ein Knuddler tut immer gut! :)

    Ja, das mußte einfach mal raus. Ich habe schon sehr lange mit mir gerungen und nach Worten gesucht, das mal loszuwerden. Ist eine gute Therapie... glaube ich!

    Ich drück Dich!

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